Wird der Personennahverkehr wiederbelebt? Die Beteiligten zeigen sich offen dafür, jedoch gibt es viel Klärungsbedarf. Marienberg.
Der Bahnsteig ist verwaist, die Gleise werden nur noch gelegentlich von der Bundeswehr genutzt. Wer derzeit per öffentlichem Personennahverkehr von Marienberg nach Chemnitz fahren will, kann lediglich auf den Bus zurückgreifen. Oberbürgermeister André Heinrich will das ändern. Er setzt sich seit geraumer Zeit für eine Rückkehr ins Zugnetz ein.
Erst vor wenigen Wochen hatte Chemnitz in den Kommunen für ein wichtiges Anliegen geworben. Die Stadt will Europäische Kulturhauptstadt 2025 werden, sie braucht die Unterstützung des Umlandes und lockt mit einem Gesamtbudget in Höhe von rund 70 Millionen Euro für die Jahre 2021 bis 2027. Orte wie Olbernhau und Pockau-Lengefeld beteiligen sich. "Wir würden uns ebenfalls gern einbringen", betont Heinrich. Voraussetzung ist allerdings, dass die Orte Teil des Chemnitzer Modells sind und somit von Personenzügen angesteuert werden. In Marienberg ist das anders als in Pockau-Lengefeld und Olbernhau aktuell nicht der Fall.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich André Heinrich für eine Rückkehr ins Netz einsetzt. Der Zustand der Gleise sei gut, sagt er. Entscheidend seien ein sinnvoller Takt und genügend Haltestellen. Dann werde das Angebot auch angenommen. Erst kürzlich wandte sich der Oberbürgermeister erneut an den Verkehrsverbund Mittelsachsen (VMS). Dieser ist für die Bestellung des Zugverkehrs zuständig. Heinrich wartete längere Zeit auf eine Antwort. Dann die Überraschung: Der VMS zeigte sich aufgeschlossen.
"Freie Presse" fragte nach. VMS-Sprecherin Jeanette Kiesinger bestätigt: Marienberg könnte zurück ans Netz und sogar Teil des Chemnitzer Modells werden. Die Stadt habe eine positive Entwicklung durchlaufen. Gemeint ist etwa die Wirtschaft. Gibt es viele Arbeitsplätze, ist die Anzahl der Pendler hoch. Sie sind potenzielle Nutzer des Nahverkehrs. Hinzu kommen neue touristische Angebote, wie der geplante Radweg nach Reitzenhain. Jeanette Kiesinger schränkt ein: "Wir stehen ganz am Anfang." Ob tatsächlich eine ausreichende Nachfrage besteht, inwiefern die Technik den Anforderungen genügt und in welcher Form sich die Strecke wirtschaftlich betreiben lässt, müsse erst noch geprüft werden. Es könne längere Zeit dauern, bis eine Entscheidung fällt und Jahre, bis womöglich wieder ein Zug zwischen Pockau-Lengefeld und Marienberg fährt.
"Ich finde den Vorstoß sehr gut", sagt Lutz Mehlhorn, Leiter der Erzgebirgsbahn. Er betont: Eine Studie müsse erstellt werden. Diese müsse unter anderem das Potenzial aufzeigen und etwa die Verknüpfung mit dem Busnetz berücksichtigen. Eines sei klar: Wird die Strecke wiederbelebt, müsse dies angesichts vergangener Rückschläge Hand und Fuß haben. In den Jahren 1999 und 2002 war die Strecke durch Unwetter und Hochwasser stark beschädigt worden. Es folgten der Wiederaufbau sowie die Wiedereröffnung zum Tag der Sachsen im Jahr 2006. Zwar blieb der Personennahverkehr fern, die Strecke wurde fortan jedoch für den Schülerverkehr genutzt. Darüber hinaus kam sie für touristische Zwecke zum Einsatz. Das Problem: Weil das Angebot zu wenig bekannt war, musste es letztlich wieder eingestellt werden. Bei einem erneuten Anlauf dürfe sich das nicht wiederholen, so Mehlhorn.
Unterdessen hat die Stadt Chemnitz Bereitschaft signalisiert, dass sich auch Orte ohne Anschluss ans Chemnitzer Modell in die Bewerbung zur Kulturhauptstadt einbringen können. Derzeit werde darüber nachgedacht, wie sie ins kulturell-künstlerische Programm eingebunden werden können, so Sprecher Thomas Liebert. (mit rickh) Kommentar: Testlauf als beste Lösung
Ein Mittelzentrum mit 17.000 Einwohnern abgeschnitten vom Bahnverkehr - eigentlich undenkbar. In der Großen Kreisstadt Marienberg seit vielen Jahren trauriger Alltag. Kein Wunder also, dass Oberbürgermeister André Heinrich sich unentwegt für eine Veränderung einsetzt. Mit Recht. Bundeswehrstandort, Schulzentrum für den gymnasialen Bildungsweg und Anziehungspunkt für Touristen sind alles gute Argumente, die nicht länger ungehört bleiben dürfen. Deshalb darf das Projekt nicht weitere Jahre auf das Abstellgleis geschoben werden. Die beste Lösung: ein sofortiger Testlauf. Denn was spricht dagegen? Die Verbindung ist gut ausgebaut, entsprechend keine teuren Investitionen notwendig. Und der Versuch wird zeigen, ob das Angebot auch wirklich ankommt und eine langfristige Anbindung von Marienberg ans Bahnnetz überhaupt sinnvoll ist. Diese Chance darf nicht ungenutzt bleiben. Scheitert das Projekt wie 2006 erneut, ist der Zug für die Bergstadt wohl endgültig abgefahren.