Lange Jahre war die Schweiz einer der Vorreiter beim Thema ETCS.
Zum einen wurden seit längerem - ähnlich wie neuerdings auch in Deutschland - die Neubaustrecken mit ETCS Level 2 ohne Signale ausgerüstet, so zum Beispiel die Basistunnel am Lötschberg, Gotthard und Ceneri. Beim Gotthard wurden auch bestehende Zulaufstrecken gleich mit auf ETCS L2 umgestellt, so u.a. die größeren Bahnhöfe Flüelen und Altdorf, wo man sich dem Thema Rangieren unter ETCS L2 stellen musste, und dafür spezielle Rangiersignale mit blauem Licht anwendet.
Die weitaus größere Leistung bestand allerdings m.E. darin, daß die Schweiz ihr gesamtes Normalspurnetz bereits bis 2018 auf ETCS Level 1 Limited Supervision umgestellt hat. Das heißt, man hat überall im Normalspurnetz die herkömmlichen Zugbeeinflussungskomponenten am Gleis für die angestammten Schweizer Systeme Signum und ZUB (grob ähnlich zur deutschen PZB) durch die standardisierten ETCS-Streckenkomponenten Eurobalise und ggf. Euroloop ausgetauscht. Diese Komponenten senden nun zum einen die offiziellen ETCS-Informationen für die Fahrzeuge, die mit ETCS Baseline 3 ausgerüstet sind, und zum anderen senden sie eine nationale Zusatzinformation, mit der über einen nachgerüsteten Adapter im Fahrzeug (sogenanntes Eurobalise Transmission Module ETM) die bestehende SIGNUM/ZUB-Fahrzeugausrüstung älterer Fahrzeuge angesteuert werden kann.
Ab 2025 war nun eigentlich geplant, daß bei Ersatz von Stellwerken jeweils zwingend auf ETCS Level 2 ohne örtliche optische Signale umgestellt werden muß. Diese strikte Zielstellung hat man nun offenbar etwas aufgeweicht, man will ab 2023 das Streckennetz nur noch „bedarfsorientiert“ abschnittsweise auf Level 2 umstellen. Gleichzeitig will man notwendige technische Optimierungen vorantreiben. Ebenso war eigentlich bis 2025 gefordert, die älteren Fahrzeuge mit ETM-Adapter alle auf ETCS Baseline 3 hochzurüsten, davon ist man jedoch ebenfalls abgerückt.
Es bleibt aber trotzdem bei der schon seit etlichen Jahren bestehenden Forderung der Schweizer Bundesbehörde, daß alle Neufahrzeuge für den Einsatz in der Schweiz generell mit ETCS Baseline 3 auszurüsten sind (d.h. die Altsysteme mit Adapter werden nicht mehr benötigt und sind auch nicht mehr zulässig). Daran ist m.E. unter anderem die Schweiz-Zulassung des deutschen (Pannen-)IC2 mit der BR 147.5 gescheitert. Ebenso müssen vorhandene Bestandsfahrzeuge zwingend auf ETCS Baseline 3 umgerüstet werden, wenn bei diesen Bestandsfahrzeugen die Zugsicherung umgebaut/erneuert wird, oder wenn diese Fahrzeuge neu auf Strecken mit ETCS Level 2 verkehren müssen.
Wie im Vergleich dazu die deutsche Strategie aussieht, das kann man hier ansatzweise nachlesen, wobei das jedoch meist wenig belastbar ist, was hierzulande angestrebt wird:
Aufgrund der recht zufriedenstellenden PZB 90 ist der Druck wahrscheinlich nicht groß. Wenn man aber beginnt, Bestandsstrecken in Deutschland umzustellen, dann wird man sich eine brauchbare Fahrzeugstrategie ausdenken müssen. Aufgrund der ohnehin vielen Ausfallgründe in diesen Tagen darf nicht noch derjenige dazukommen, daß Fahrzeuge mit ETCS fehlen.
Noch ein Nachtrag zu obigem Beitrag: Wie erwähnt, hat die Schweiz ihr gesamtes Normalspurnetz zunächst auf „ETCS Level 1 Limited Supervision“ umgerüstet. Dadurch kann jedes mit ETCS Baseline 3 ausgerüstete Eisenbahnfahrzeug nun (entsprechende Zulassung vorausgesetzt) das Bahnnetz der Schweiz befahren, spezielle nationale Zugsicherungssysteme wie früher Signum/ZUB werden nicht mehr benötigt. Umgekehrt ist wie erwähnt bei Neufahrzeugen die ETM-Adapterlösung mit Signum/ZUB seit längerem nicht mehr erlaubt.
Das ETCS Level 2 mit Führerstandssignalisierung und ohne optische Streckensignale wurde dagegen bisher nur auf ausgewählten Neubaustrecken, insbesondere im Bereich der neuen Basistunnel an Lötschberg, Gotthard und Ceneri eingesetzt. Ab 2025 wäre vorgesehen gewesen, bei notwendigem Ersatz von Stellwerken zwingend auf Level 2 umzusteigen und den Umstieg generell zu forcieren.
Daß man davon jetzt zunächst etwas Abstand genommen hat, dürfte auch mit der in folgendem Artikel geschilderten Thematik zu tun haben. Man sieht erheblichen Optimierungsbedarf bei der bisher eingesetzten Technik. Insbesondere nimmt die Komplexität immer mehr zu, die Kosten steigen immer mehr, die Lebenszyklen der Technik und die Abstände zwischen notwendigen technischen Eingriffen/Updates werden immer kürzer. Und nicht zuletzt sieht die Schweiz hochoptimierte „klassische“ Systeme mit optischen Signalen derzeit noch als etwas leistungsfähiger an als den derzeitigen Betrieb mit ETCS Level 2.
Deswegen drängt man darauf, elektronische Stellwerke und die ETCS-Streckenausrüstung künftig in einem System zusammenzuführen, dem sogenannten „ETCS-Stellwerk“. Dieses Konstrukt soll dann künftig auf industriell verfügbarer Standard-Hardware laufen, die man ohne Eingriffe an der eisenbahn-spezifischen Funktionalität bei Bedarf austauschen kann:
Diese Ziele unterscheiden sich vermutlich nicht wesentlich von dem, was man auch hierzulande anstrebt. Ich traue der Schweiz allerdings eher zu, dies auch konsequent weiterzuverfolgen und umzusetzen. Hilfreich erscheint dabei zu sein, daß neben der Infrastruktursparte der SBB auch eine fachlich kompetente Bundesbehörde in Form des BAV existiert, die solche Themen dort im Regierungsauftrag vorantreibt. Das deutsche EBA scheint sich dagegen nur auf spezielle Themen wie Gewährleistung von Sicherheit und Wettbewerb zu reduzieren. Die Gewährleistung eines funktionierenden Eisenbahnbetriebs und dessen technische Zukunftstauglichkeit gehört m.W. nicht zu den Aufgaben.
Die darin enthaltene Aussage, daß die jetzt von SBB Cargo International über Railpool neu angemieteten Vectron-Lokomotiven (Zitat) „zu den ersten Siemens Vectron A22-Lokomotiven [A22 steht dabei für Loks mit Ausrüstung für D/A/CH/I/NL] mit ETCS Baseline 3 für den Rhein-Alpen-Korridor [gehören]“, überrascht mich doch etwas.
Denn überall konnte man lesen, daß Neufahrzeuge in der Schweiz bereits seit 2018 mit ETCS Baseline 3 ausgerüstet sein mussten, denn die zuvor angewandte und bei Bestandsfahrzeugen noch immer übliche Übergangslösung mit herkömmlicher Signum/ZUB-Ausrüstung und einem Eurobalise Transmission Module (sogenannter ETM-Rucksack) war seit 2018 in neuen Fahrzeugen für die Zulassung in der Schweiz nicht mehr erlaubt. Ich frage mich, wo hier der Denkfehler liegt? Galten die vielen in den letzten Jahren bereits von der SBB beschafften Vectron nicht als Neufahrzeuge? Oder ist hier nur gemeint, daß diese bisherigen Fahrzeuge noch ein ETCS Baseline 3 von einem Fremdlieferanten hatten, und Siemens das erst jetzt selbst macht?