Aktuell wird nun - unter anderem bei DSO - diskutiert, was DB Netz für Deutschland bezüglich ETCS plant. Basis sind die folgenden beiden aktuellen Mitteilungen:
- Man wird in Deutschland NICHT den Weg gehen wie die Schweiz. Eine Umstellung des gesamten Streckennetzes auf ETCS Level 1 Limited Supervision, wie es in der Schweiz bereits vollständig erfolgt ist, wird also für Deutschland nun gar nicht mehr angestrebt. Damit bleibt es also vorerst auf den meisten deutschen Strecken bei der Ausrüstung nur mit PZB.
- Einige wichtige Strecken (zum Beispiel Berlin-Rostock, Berlin-Hamburg, Nürnberg-Regensburg-Passau), für die in den nächsten Jahren eine Generalsanierung geplant ist, werden bei dieser Gelegenheit mit ETCS L2mS ausgerüstet. Das heißt, es bleibt zwar bei einer Grundausrüstung mit PZB und optischen Signalen, zusätzlich wird die Strecke aber mit ETCS Level 2 ausgerüstet und über diesen Weg eine Blockverdichtung realisiert. LZB, sofern vorhanden, wird stattdessen entfernt. Fahrzeuge, die nur PZB haben, können dort nach wie vor noch fahren, belegen aber „breitere“ Trassen. Man spart sich damit jedoch vermutlich auch zunächst den Aufwand, große Knoten-Bahnhöfe zeitnah komplett auf ETCS Level 2 umstellen zu müssen. Reine ETCS-Fahrzeuge ohne PZB dürften dort also vorerst gar nicht einsetzbar sein, wenn meine Vermutung stimmt.
- Andere Strecken, darunter reine NBS wie Frankfurt-Köln, aber eben auch ABS mit Mischbetrieb wie Nürnberg-Würzburg, sind dagegen mit ETCS L2oS, also ohne Signale geplant. Dort sind dann nur noch Fahrzeuge nutzbar, die eine funktionierende ETCS Level 2 Fahrzeugausrüstung haben. Edit: Diesbezüglich besteht also kein Unterschied zur Schweiz.
Fazit:
- Ein freizügiger Einsatz von Fahrzeugen, die nur noch mit ETCS Baseline 3 ausgerüstet sind (d.h. gar nicht mehr mit dem nationalen System), wie in der Schweiz bereits heute netzweit möglich, wird also in Deutschland auf absehbare Zeit nicht möglich sein.
- Umgekehrt werden jedoch alle Fahrzeuge, die nur mit dem nationalen System ausgestattet sind (und das sind in Deutschland sehr viele!), auf absehbare Zeit hierzulande lange weiter einsetzbar sein, jedoch dann eben auch abseits der NBS nicht mehr auf allen Strecken. In der Schweiz dagegen benötigen alle solchen Bestands-Fahrzeuge ohne ETCS bereits heute grundsätzlich einen Adapter (Eurobalise Transmission Module), um auf den Level 1 Strecken noch fahren zu können, und Fahrzeuge ohne ETCS Baseline 3 dürfen neu in der Schweiz seit langem gar nicht mehr zugelassen werden. Edit: Ob und wann solche Vorgaben in Deutschland kommen, darüber habe ich noch nichts gelesen.
Über Korrekturen, Ergänzungen und Meinungsäußerungen würde ich mich sehr freuen.
Ich muß wahrscheinlich noch hinterherschicken, daß es sicher sehr darauf ankommt, was man mit einer ETCS Migrationstrategie jeweils national erreichen will. Deswegen hinkt vermutlich auch der Vergleich mit der Schweiz. Denn die Schweiz hatte ja m.E. mit Integra Signum ein recht veraltetes System, ZUB wurde damals nur an einem Teil der Signale nachgerüstet, und vor allem: man ist in besonders starkem Maße ein Transitland, was wohl das Bestreben erklärt, reinen ETCS-Fahrzeugen ohne spezielle nationale Ausrüstung (Signum/ZUB) eine Nutzung des Schweizer Netzes zu erlauben. Vor diesem Hintergrund war der komplette und konsequent umgesetzte Umstieg auf ETCS Level 1 LS verständlich. Denn ein zeitnaher direkter Umstieg auf Level 2 wäre selbst im Schweizer Gesamtnetz völlig illusorisch gewesen.
In Deutschland dagegen ist man ja mit PZB90 auf den Strecken, wo <= 160 km/h gefahren wird, zunächst noch ganz gut aufgestellt. Der Wille bzw. der Focus darauf, den Zugang zum Gesamtnetz für reine ETCS-Fahrzeuge ohne nationale PZB-Ausrüstung zu ermöglichen, dürfte hierzulande nicht gleichermaßen ausgeprägt sein. Ein Umstieg von PZB90 auf ETCS Level 1 LS im deutschen Gesamtnetz dürfte deswegen, auch unabhängig von Finanzierung und Organisation, ohnehin nicht mehr angestrebt werden. Soweit meine Interpretation.