Nach einer Woche setzten wir unsere Reise weiter in Richtung Süden fort. Man hat die Alternative entweder über die neu erbaute Autobahn schnell voran zu kommen oder aber den längeren und langsameren Weg über die Küstenstrasse zu wählen. Empfehlenswert ist eindeutig die zweite Variante, denn die längere Fahrt wird durch schöne Ausblicke auf das Meer und die vorgelagerten Inseln belohnt.
Split ist mit 220 000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt Kroatiens und die heimliche Hauptstadt Dalmatiens. Die Gründung der Stadt geht auf die Römerzeit zurück weil hier Kaiser Diokletian seinen Palast erbauen liess. Die Innenstadt von Split mitsamt dem Diokletianspalast wurde 1979 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
In Tito's Zeiten wurde ganz in der Nähe von Split das grösste Zementwerk Jugoslawiens gebaut. Einerseits passt es gar nicht in die schöne Küstenlandschaft, andererseits beschert es den Bahnfotografen regelmässige Zementzüge, die sich hoch in die Berge quälen.
Tito ging seinen eigenen Weg. Er kaufte nicht Dieselloks in Russland und Rumänien sondern in den USA und in Kanada und Kroatien baute dann im eigenen Land eine Lizensproduktion auf. Die amerikanischen und kanadischen Originale sind mittlerweile aus der Bahnlandschaft wohl verschwunden. Hier mühen sich 2062 105 und 110 oberhalb von Sadine.
Ankunft und Abfahrt der Güterüge ist entweder Solin als Industriestandort oder Split-Predgrade wegen dem Hafenanschluss. Das Güterzugaufkommen ist schnell erklärt. Es gibt täglich zwei Zugpaare bergauf und bergab. Die erste Auffahrt ist bereits gegen 4 1/2 Uhr, also in der dunklen Tageszeit. Die zweite Auffahrt ist der 60340 gegen 16 Uhr bis 16 1/2 ab Predgrade oder Solin. Beide Züge sind relativ pünktlich. Der erste Abwärtsfahrer mit Zugnummer 60341 erreicht Solin oder Predgrade planmässiog gegen 9 1/2 Uhr, manchmal verspätet bis gegen Mittag. Der zweite kommt planmässig gegen 15 1/2 Uhr unten an und ist aber fast immer verspätet. Hier startet der nachmittägliche Aufwärtsfahrer mit auffälliger Abgasfahne gerade in Solin.
Im Sommerfahrplan fährt ab 15.06. der Schnellzug B 1204 aus Zagreb mit Kurswagen unter anderem aus Prag und Budapest und bringt Urlauber an die Adriaküste nach Split. Der Zug erreicht Split in den Vormittagsstunden und fährt abends zurück, zweimal in der Woche.
Der komplizierte Streckenverlauf führt durch Einschnitte, Tunnel und über Dämme, Brückenbauwerke oder Viadukte sucht man vergeblich. Die sogenannte Dalmatinische Bahn wurde 1888 in Betrieb genommen und verbindet die Küstenstädte Split und Sibenik über den Knotenpunkt Perkovic mit der etwas grösseren Stadt Knin im Hinterland und war zu damaliger Zeit eine Insellösung. Erst mit Fertigstellung der Lika-Bahn über Ogulin nach Zagreb wurde die Dalmatinische Bahn 1925 mit dem übrigen Eisenbahnnetz verbunden.
Um die besten Fotopunkte zu erreichen, muss man sich weglos durch schwieriges Gelände arbeiten. Scharfe trockene Gräser reichen bis zur Hüfte, stachlige Büsche höher. Über Geröll und Felsbrocken und im Zickzack geht es zwar vorwärts aber langsam. An anderen Stellen gibt es noch Minengefahr. Vor Spinnentieren und Schlangen darf man sich nicht zurückschrecken lassen. Robustes Schuhwerk und reissfeste lange Hosen sind zwingend erforderlich. Bei Temperaturen zwischen 30 und 35°C und purem Sonnenschein hatte ich keinen Spass an der Kraxelei und liess es bleiben. Im nachhinein betrachtet, war es vielleicht ein Fehler.
2062 105 und 119 quälen sich bei Kastel Stari in die Berge hoch. Schon Minuten vorher ist das tiefe Brummen der Maschinen aus dem Tal herauf zu hören. In der Vorbeifahrt scheint die Erde zu beben und hinterlässt eine kleine Gänsehaut.
Oberhalb von Sadine ist dem kargen Boden in Knochenarbeit etwas Fruchtbarkeit abgerungen worden. Einer der Olivenhaine diente mir bei der morgenlichen Talfahrt des 60341 als Hintergrund.
Für die abendliche Rückfahrt des Ferienzuges wurde ein solches Gelände gewählt, dass die volle Zuglänge aufs Bild kommen konnte. Nach einem etwas anstrengenden Fussmarsch durch die schattenlose Landschaft, aber versehen mit einem Regenschirm als Schattenspender, wurde diese Stelle weit oberhalb von Sadine gefunden. Von hier reicht der Blick weit in die wunderschöne Umgebung.
Etwa 10 Tage lang herrschte wolkenkoser Himmel bei Mittagstemperaturen zwischen 30 und 35°C (übrigens in genau der Zeit, als über Sachsen Regenschauer und dicke Wolkendeche die Bahnfotografen nervten) . Hier bauen sich über den Bergen endlich ein paar Wolken auf, die in den nächsten Tagen für etwas Abkühlung sorgten. Bevor der Frühbummler einen Bahnübergang bei Sadine passiert, bläst er ohrenbetäubend ins Horn und ist so schon kilometerweit auszumachen.
Links sehen wir das Stationsgebäude von Sadine. Aus dieser Perspektive beeindrucken die Kraftpakete, die den Güterzug ins Tal bremsen.