Wenn nach Zugunglücken von „menschlichem Versagen“ die Rede ist, dann muß ich mir von allgemein technisch informierten, aber bahn-unkundigen Kollegen als Eisenbahn-Freund doch öfters Fragen anhören, weshalb diese menschlichen Fehler denn heutzutage nicht durch hinlängliche technische Absicherung verhindert werden, so wie das in anderen technischen Bereichen üblich sei.
Solche Fragen werden auch durch unvollständige Pressemeldungen wie die folgende genährt. Man kann zwar in der Öffentlichkeit, und erst recht so kurz nach dem Unfall, natürlich nicht auf Details eingehen, aber ein paar wichtige Anmerkungen wären zur richtigen Einordnung aus meiner Sicht schon in solchen Pressemeldungen noch notwendig:
- die betroffene Strecke Hannover-Wolfsburg wird mit LZB betrieben und eine Ausrüstung mit Relaisstellwerken neuerer Generation und/oder ESTW kann somit vorausgesetzt werden, insbesondere auch das Vorhandensein automatischer Gleisfreimeldeeinrichtungen. Ein Einlassen eines Zuges in einen besetzten Abschnitt kann also hier m.E. nicht per regulärer Bedienung, sondern nur per Ersatzhandlung erfolgt sein, wahrscheinlich wegen einer technischen Störung (z.B. Lok ist aus der LZB-Überwachung herausgefallen wegen starkem Schleudern oder aus anderen Gründen). Daß es eine Ersatzhandlung war, das geht aber nicht klar aus der PM hervor. - nach meinem Kenntnisstand gibt es für die Ersatzhandlungen bei den o.g. Stellwerkstypen dann wiederum verschiedene Stufen, je nach Situation. Wenn, wie in der PM beschrieben, gar keine Störung an der Strecke vorlag, dann sollte die Gleisfreimeldung im Normalfall m.E. auch für die erste Stufe der Ersatzhandlungen (d.h. Ersatzsignal, LZB-Ersatzauftrag …) trotzdem noch technisch nutzbar sein. Es muß also hier m.E. noch weitere Umstände gegeben haben, die zu weitergehenden und weniger technisch abgesicherten Ersatzhandlungen oder zu Mehrfachfehlern, und letztlich dann zum Unfall führten. Für den Leser klingt das aber wohl eher nach einer üblichen Bedienung, bei der halt ein Fehler passierte.
Natürlich erwartet die Öffentlichkeit schnelle Informationen zum Ermittlungsstand, aber man muß fragen, inwieweit solche verkürzten Pressemeldungen doch eher Mißverständnisse hervorrufen als aufzuklären?
Ja, da wird der technische Hintergrund, und mögliche menschliche bzw. personelle Fehlhandlungen, doch sehr vereinfacht wiedergegeben. Wobei dies, für nicht unbedingt eisenbahnaffine Leser und die Öffentlichkeit, in vereinfachter Form ausreichend sein sollte. Die breite Masse will sich sicherlich nicht erst mit der Funktionsweise der LZB in Kombination mit dem HV-Signalsystem der DB beschäftigen. Und die Ursache des Unfalls wird sicherlich auch erst nach der Untersuchung und Auswertung dessen durch die Fachleute zweifelsfrei nachzulesen sein.
Zitat von Bw Adorf im Beitrag #2Ja, da wird der technische Hintergrund, und mögliche menschliche bzw. personelle Fehlhandlungen, doch sehr vereinfacht wiedergegeben. Wobei dies, für nicht unbedingt eisenbahnaffinen Leser und die Öffentlichkeit, in vereinfachter Form ausreichend sein sollte. Die breite Masse will sich sicherlich nicht erst mit der Funktionsweise der LZB in Kombination mit dem HV-Signalsystem der DB beschäftigen.
Das ist sicher auch nicht notwendig, wie ich oben schon schrieb. Notwendig und sinnvoll wäre aber aus meiner Sicht klarzustellen, daß so ein Unfall i.d.R auf mehreren Faktoren und Rahmenbedingungen beruht. Für mich klingen solche verkürzten PM‘s immer sehr danach, als wäre nur ein einzelner Mensch schuld, und der wurde jetzt höchstwahrscheinlich gefunden, und deswegen ist es passiert. Das trifft jedoch in den meisten Fällen nicht zu und sollte m.E. auch nicht so vereinfacht dargestellt werden. Ist aber nur meine Meinung, die nicht jeder teilen muß.
Hallo, obwohl ja im Forum allgemein über solche Themen nicht geschrieben wird, weil es ein sehr heikles Thema ist, will ich meine Meinung dazu äußern.
Einerseits sind vorschnelle und einfache Verlautbarungen zur Ursache zumeist nicht hilfreich, weil sie den mit der Thematik wenig vertrauten Konsumenten der Nachrichten in der Regel zu falschen Schlußfolgerungen führen. Anderseits sind wochenlange "Hinhaltungen" genauso schädlich, weil diese in der Öffentlichkeit ebenfalls zu Spekulationen und Fehlinterpretationen führen. Im vorliegenden Fall hätte man sachgerecht informieren können, dass der Zug aus bisher ungeklärten Gründen auf ein mit einem anderen Zug noch besetztem Gleis eingefahren ist und es dadurch zum Auffahrunfall kam.. Vielmehr wurde ja neben allerlei Ungereimtheiten über das spektakuläre Schadensbild berichtet. Den "Lokreport" liest wohl die allgemeine Öffentlichkeit nicht.
Da bei solchen Unfällen die zuständige Staatsanwaltschaft die Ermittlungen führt und deshalb auch für die Information der Öffentlichkeit zuständig ist, unterbleibt diese zumeist, weil bei dieser Behörde keine Sachkunde vorhanden ist und man sich scheut, "irgendwas" zu verlautbaren. Auch bei der örtlich zuständigen Kriminalpolizei gibt es keine Sachkunde, so dass die Ermittlungen zunächst "allgemein im Nebel herumstochern", um es mal freundlich auszudrücken. Mit Hilfe von Sachverständigen wird dann die Sache nach und nach aufgeklärt, was eben dauert. HIer hat nach Lokreport die Bundespolizeidirektion Hannover informiert.
Man wird nunmehr abwarten müssen, wer etwas näher berichtet, wie es zur Einfahrt ins besetzte Streckengleis kam. Manchmal wird auch etwas "durchgestochen", damit es Auflage bringt. Im übrigen ist die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung auch nicht besser, die im Internet veröffentlichten Unfallberichte sind zum Teil Jahre alt, obwohl die Unfallursache von Anfang an klar ist. Wen es interessiert: https://www.eisenbahn-unfalluntersuchung.../home_node.html
1988 kam es im Bereich Horka auf der freien unübersichtlichen Strecke zu einem Frontal-Zusammenstoß eines Güterzuges mit einem Dienstpersonenzug (Personal für die Grenzabfertigung in Kohlfurt). Der Güterzug sollte im polnischen Grenzbahnhof die Kreuzung des Personenzuges abwarten. Der Lokführer wollte bremsen, verspürte keine Bremswirkung und wäre auf den Gleisendabschluss gefahren (dahinter lag eine Strassenunterführung). Der Lokführer flehte den Fahrdienstleiter über Funk an, (das gab es damals schon bei der polnischen Bahn, nicht aber bei der Reichsbahn), ihn nicht auf den Prellbock fahren zu lassen , sondern auf die freie Strecke, Er wollte im anschließenden ansteigenden Streckenverlauf den Zug zum Halten bringen. Das tat der Fahrdienstleiter und rief anschließend in Horka an, da war aber der Personenzug schon abgefahren und nicht mehr aufzuhalten. Es war wohl in der Folge nicht richtig zu klären, warum beim Güterzug die Bremsen nicht funktionierten.
Ich hatte Gelegenheit in die Akten einzusehen und mit dem Ermittler der Kriminalpolizei zu sprechen. Ich hatte kurz vor seinem Tod mit dem Sachbuchautor Erich Preuß Mailkontakt und ihn gefragt, warum er diesen Unfall in seinen Büchern über Eisenbahnunfälle nicht aufgenommen hatte. Er wußte es nicht, wollte aber im nächsten Buch darüber berichten, was aber wegen seines plötzlichen Todes nicht mehr zustande kam.
Und jetzt kommt der Skandal. Das DDR-Fernsehen wollte neue Offenheit zeigen und berichtete am Abend in der Aktuellen Kamera über den Unfall. Als Ursache wurde genannt: Der polnische Lokführer habe ein Haltsignal überfahren. Und so blieb es dann in der Öffentlichkeit stehen.
Vor kurzem hat der MDR den Film über den Unfall in der Reihe Lebensretter wiederholt. Das ganze sehr reißerisch und emotional aufgemacht, aber die Schuld blieb beim Lokführer, obwohl nicht geklärt werden konnte, warum der Zug nicht bremste.